Eleganz und Erotik der Macht

Coriolanus als britisches Gastpiel im Schiller-Theater

Coriolanus at the Schiller Theatre

Gastpiel Der Royal Shakespeare Company im Schiller-Theater mit "Coriolanus" - von links nach rechts Alan Howard (in der Titelrolle), Maxine Audley (Volumnia), Charles Dance (Tullus Aufidius) und Paul Basson (Martius).

Die Tragödie des Caius Martius, nach seinem Sieg über die Stadt Corioli von einem dankbaren Senat mit dem Beinamen Coriolanus geschmückt und zum Konsul ausersehen, ist in Shakespeares Stück die des gefeierten römischen Kriegshelden, der in einem Augenblick der Schwäche und aus Liebe zu seiner Mutter Volumnia seiner eigenen Natur untreu wird. Nicht sein Wagemut, sein Stolz, seine grenzenlose Verachtung für das Volk und dessen parlamentarische Vertreter, die Tribunen, bringen ihn zu Fall. Im Gegenteil, sie sind die Quellen seines Ruhmes und hätten aller Wahrscheinlichkeit nach auch das mächtige Rom bezwungen - ohne diese eine fatale Gemütsanwandlung.

In den Ohren der Elisabethaner, mit dem Beispiel eines Sir Walter Raleigh vor Augen, mag dies eineangenehme Mär gewesen sein; heute, mit dem italienischen und dem deutschen Faschismus noch lebhaft im Gedächtnis, wirkt dieses kaum verhüllte Loblied auf einen Tyrannen unerträglich. Als Bertolt Brecht daranging, das Stück zu bearbeiten, machte er aus dem Sieger von Corioli einen kriegstreiberischen Aristokraten, der die Flut einer Volksbewegung aufzuhalten versucht. Bei Shakespeare sind die römischen Bürger und ihre Tribunen schwach, feige, hinterlistig und dumm. Brecht nun hatte diese Schwarz-Weiß-Malerei etwas zu gründlich in ihr Gegenteil verwandelt: in seiner Fassung traten die Römer gleich zu Anfang als klassenbewußte Revolutionäre auf, womit dem Stück seine dramatische Entwicklung genommen wurde.

Die inzwischen schon fast legendäre Fassung des Berliner Ensembles von 1964, die unter der Regie von Manfred Wekwerth und Joachim Tenchert einer Neubearbeitung des Stückes gleichkam und sich näher an das Original hielt, als es Brecht getan hatte, war 1965 auch in London gezeigt worden und dürfte auf die nachfolgenden Inszenierungen der Royal Shakespeare Company in den Jahren 1967 und 1972, und sicher auch auf die jetzt vorliegende, die Terry Hands 1977 in Stratford-on-Avon zuerst vorstellte, nicht ohne Einfluß gewesen sein.

Allerdings hat die berühmte englische Truppe, die jedes Jahr über eine Million Zuschauer in England und auf ihren Gasttourneen im Ausland anlockt und zur Zeit im Schiller-Theater Station macht, den Spieß umgekehrt und mit demselben ritualistischen Bühnenstil, wie ihn das B.E. in seiner besten Zeit so exemplarisch vorgeführt hatte, die Gewichte so verteilt, daß das Stück ohne jede Abstriche in seiner alten hymnischen Form zum Vorschein kommt und jeden Versuch einer Umpolung als Frevel erscheinen läßt.

Um nur ein Beispiel zu nennen. In Ost-Berlin hatte Ekkehard Schall die Titelrolle gespielt, ein Schauspieler von eher kleiner Statur, dem die heroische Pose fernliegt und fast immer zurKarikatur gerinnt. Sein Gegenspieler, Aufidius, der Anführer der Volsker, war von dem noch kleineren Hilmar Thate dargstellt worden. Jetzt haben wir in Alan Howard, dem englischen Coriolan, einen Mann, der die Plebejer, die ihn aus Rom verbannen, um einen Kopf überragt, und der mit jeder Geste und mit jedem Satz den unbesiegbaren und unnahbaren Helden verkörpert, und Charles Dance als Aufidius ist noch größer.

Alan Howard ist tatsächlich ein Wunder an Präzision und Sprachkraft, der als Einziger denselben Staccato-Stil des Vortrags pflegt, den Brecht seinerzeit als Verfremdungseffekt am alten B. E. eingeführt hatte, und ihn so beherrscht, daß er in den Pausen zwischen den einzelnen Wörtern seine Mimik verändern und damit ganz verblüffende Wirkungen erzielen kann. So erlebt der Zuschauer immer wieder eine plötzliche Wandlung - wenn Coriolan sich widerstrebend dem Mob anzubiedern versucht oder wenn er der flehenden Mutter nicht länger widerstehen kann - als optisch sichtbaren Prozeß, als eine in ihre Teile gegliederte Gemütsbewegung.

Der Rahmen, in dem sich das Drama entfaltet, ist denkbar einfach und erstaunlich veränderbar. Farrar, als Bühnenbildner, baute ein dreieckig abgedachtes Tor mit verstellbaren Flügelwänden und dazu eine Schräge, die eine strenge Choreografie möglich macht. Auf diese Weise werden die Kampfszenen vor den Toren von Corioli du statuesken Momentaufnahmen, bis Coriolan allein in die Stadt eindringt und dann triumphierend und blutverschmiert in gespreizter Haltung hoch auf den Torbögen steht und später von seinen Soldaten auf einer Lanze wie ein Gott getragen wird.

Kein Zweifel, vas uns die Royal Shakespeare Company hier vorführt, ist großes, ist Welttheater, in dem der sprachgewaltigste Dramatiker aller Zeiten ein ihm entsprechendes Instrument bekommen hat. Wer einmal erleben will, wie die englische Sprache singt und jubelt und glänzt, wie sie tobt und zwitschert, wenn sie von Sprachkünstlern vorgetragen wird, sollte sich für heute oder morgen schnell noch eine Karte besorgen.

Michael Stone

Der Tagesspiegel, 2-5 Mai, 1979.

Playing Shakespeare/Coriolanus